September 24, 2010

Lügen der Social Media Gurus, Teil 1: Überschätzung des "Like Me Button"

Medienwandel-
Zitate aus der Zauberkiste
Die Medientage Wien sind vorüber. Es wurde mehr über Online als über Zeitungen, Radio und Fernsehen gesprochen. Das mag ein Zeichen dafür sein, dass ein Wandel in den Köpfen angekommen ist.
Wie groß die Unsicherheit noch ist, zeigt sich daran, dass Journalisten, die in ihrem Leben noch kein Online-Content-Management-System bedient haben, heute über den Siegeszug der Blogger schreiben. So als gäbe es nicht schon zehn Jahre Blogger im Internet.
Wir haben es also mit einer Hausfrauen-Hausse zu tun. Und scheinbar darf in solchen Zeiten jeder noch so unbedarfte Laie schlaue Worte von sich geben - und den Niedergang der Medien, des Journalismus herbeizitieren.
"Bestseller" und das Magazin "trend" haben eine "Medien Spezial" Ausgabe herausgegeben, in dem Blogger von der schönen neuen Online-Welt berichten - und sie munter klassische Medien beschimpfen.

Die dümmsten Zitate zum Thema Kulturwandel
Da sagt etwa die sympathische Meral "Digitalks" Akin-Hecke so weise Worte wie: "Manche verbingen mehr Zeit mit dem Web 2.0, manche weniger. Jede Person beschließt selbst, auf welchen Kanälen sie Informationen austauschen will." Revolutionen sehen anders aus, wertvolle Beratungsansätze auch.
Oder Luca Hammer, der sich Autor nennt, deutet: "Mir ist die Linearität der Medien suspekt, da ich vom Internet gewohnt bin, Dinge dann zu konsumieren, wann ich es möchte, und nicht, wenn es ein Programmplan vorschreibt." So tiefsinnig das auch klingen mag, seit der Erfindung des Buchdrucks gab es diese Form der "Linearität" nie - und damit gibt es diesbezüglich auch keine Revolution.
Noch absurder wird es allerdings, wenn davon die Rede ist, dass sich die Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Konsumenten verschieben würden. Firmen und Einzelpersonen würden auf einmal "auf einer Ebene miteinander kommunizieren", schreibt trend.
Nun, einzig mögliche Interpretation: es kommunizieren Menschen mit Menschen. Aber welche Hierarchien werden dabei verschoben? Weil ein PR-Mitarbeiter von Danone nun die Facebook-Fanpage betreut und sich 5000 Menschen potenziell davon berieseln lassen sollen Hierarchien umgekippt worden sein? Ist das Joghurt nun sauberer, gentechnikfreier, ist die Kommunikation ehrlicher und weniger von Marketing getrieben, weil Danone eine Facebook-Page hat? Natürlich nicht.
Und wenn Swarovski 500.000 Facebook Fans hat, dann wird das Unternehmen auch weiterhin nicht mit einer halben Million Menschen auf Augenhöhe reden und darüber diskutieren, ob die Steine in Zukunft in Indien poliert werden sollen.

Selbsttäuschung der Couch Potatoes
Luca Hammer sagt so ehrlich, dass er "manchmal einen Gedanken, oder ein Erlebnis" hat, das "ich nicht für mich behalten möchte." Dann postet er diesen auf Twitter. Und er erwartet sich Feedback. Bekommt er ein paar Antworten, dann fühlt er sich als Autor und Blogger bestätigt.
Ich bestreite nicht, dass sich unser Medienverhalten ändert, im Gegenteil, es ändert sich rasant. Das Dramatische daran ist jedoch unser kollektives Missverstehen dieses Wandels. Wir sind inpuncto Kommunikation nicht, wie viele Blogger meinen, aktiver geworden, sondern passiver. Denn wir erwarten uns mittlerweile, dass Nachrichten an uns herangetragen werden. Wir verwechseln das Drücken des "Gefällt mir" Buttons mit Partizipation, unser gelangweiltes mehrmaliges Aufrufen von Social Media Apps verwechseln wir mit einer Neugier an der Welt, unsere gelebte Passivität interpretieren wie als aktive Verweigerung.
Social Media bringt Anliegen von Minderheiten sowie die Probleme und Missstände der Gesellschaft nicht nach oben, sondern verdeckt sie. Wenn Probleme keine "Retweet"-Eigenschaften haben, dann fallen sie auch niemanden auf. Das ist aber das charakteristische an journalistischer Neugier, genau dort weiterzuwühlen, solange bis das Thema massentauglich wird. Und die Web 2.0-Welt? Das Interesse an der persönlichen Umgebung wächst, das Interesse an den weiter weg liegenden Themen sinkt. Facebook behindert damit die Solidarisierung anstatt sie zu fördern.

Die Übertreibungs-Blase Web 2.0 ist kurz vor dem Platzen. So wie es keine New Economy im Jahr 2000 und den Jahren danach gab, so gibt es kein Web 2.0, das die Kommunikation revolutioniert.

Es gibt massive Veränderungen im Medienkonsum, doch es wäre fatal, würden Medienmacher Social Media Beratern vertrauen, die das als Siegeszug der Laien-Kommunikatoren interpretieren. Die Herausforderung an Medienmacher lautet: Bekämpfe die Passivität und Langeweile und verschärfe daher die Relevanz deiner Medien. Aber vertraue nicht auf den "Like me" Button.

5 Kommentare:

  1. Das ist die schöne Sicht des Journalisten, die ich als Berufskollege durchaus verstehe. Allerdings schreiben wir nicht zum Selbstzweck sonder erfüllen eine Funktion: Wir versorgen unsere Leser mit Informationen, stellen Öffentlichkeit her. Die Web 2.0 Angebote sind eine gute Möglichkeit Öffentlichkeit herzustellen. Was Journalisten Angst macht, ist, dass nun diese Tools auch von den eigentlichen Lesern verwendet werden können, die damit mit uns in direkte Konkurrenz treten.

    So sollte man das allerdings nicht sehen - gerade Journalisten werden weiterhin benötigt, um Informationen zu kanalisieren und auch um Skandale aufzudecken - und Blogs und Web 2.0 bieten uns die Möglichkeit, das auch Abseits von politischen und firmeninternen Zwängen zu tun.

    Mal sollte die Zukunft umarmen, so viel Angst sie uns auch macht...

    Roman Huber

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  2. Stimmt durchaus.

    Es ist vollkommen klar, dass ein Handyspiel eines Hobbyprogrammierers niemals die Qualität und Erfolg eines Spiels aus einer offiziellen Spieleschmiede erreichen kann. Egal ob es sich jährlich fünf Millionen mal verkauft.

    Ebenfalls steht fest, dass eine Bloggerpräsenz niemals die Qualität und Erfolg eines feinen Medienhauses erreichen kann. Egal ob es täglich Millionen Besucher verzeichnet.

    Und genauso wenig kann eine Revolution diesen Namen verdienen, wenn sie nicht von studierten und zertifizierten Revolutionsführern mit Ausweis angezettelt wird.

    Es kann ja bitte nicht sein, dass da irgendwelche hergelaufenen selbsternannten CouchPotato-Autoren einem einfach nur so ins studierte Handwerk pfuschen. Wo kommen wir denn so hin?

    Was sollen diese ganzen Teenies, die aus langer Weile in schmuddeligen Garagen irgendwelche lächerlichen Suchalgos zusammenkritzeln, die dann lediglich die Welt übernehmen? Was soll dieser fette Unsympatler vom Sofa aus ein TechCrunch gründen, dem dann mehr Gehör als FTD geschenkt wird? Was sollen diese unreifen Studienabbrecher Communities gründen, mit lächerlichen gewelangweilten 500 Millionen User?

    Was soll dieser ganze Scheiß übehaupt? Wo kommen wir denn so hin, wenn die Nachfrage bestimmen sollte, was sich verkauft oder nicht? Höchste Zeit diese kranke unnötige journalistenausweislose Web 2.0 - Blase schön einstudiert linear zum platzen zu bringen.

    Und überhaupt sollte endlich eine klare Kennzeichnung dieser verzichtbaren selbstverliebten Möchtegernos eingeführt werden. Wie wäre es mit einem klaren gelben 'VSB' auf der Stirn - für "Vorsicht, Scheissblogger".

    Mahlzeit.

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  3. @Martin Dein Kommentar spricht mir aus der Seele.

    Vielleicht ist es der Futterneid der etablierten Journalisten, vielleicht auch die nackte Angst vor der Zukunft? Ich kann nachvollziehen, dass es extrem beängstigend sein muss, wenn ich mich vier Jahre durch ein Studium quäle - danach glaube, ich kann die Welt retten und in der Aufmerksamkeit der Masse boxt mich ein Nobody, der noch täglich Clerasil verwenden muss, vom Stockerl.

    Wer waren nochmal diese Nobodies, die Mitte der 90er noch nichtmal ihr eigenes Studium beendet haben und die irreale Idee hatten, Altavista und Yahoo herauszufordern?

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  4. Ha! Die Ehrlichkeit gefällt mir gut. Ich persönlich beobachte einen oberflächlichen Dualismus in der Debatte, der niemanden im Thema weiter bringt. Zudem fehlen derzeit die Übersetzer des gesamten Social Media Hypes. Wenn Unternehmen plötzlich alles glauben, was Ihnen "Nerds" erzählen die keine Ahnung von Marketing, Wirtschaft und deren Zielgruppe haben, dann ist das bedenklich. Hier müsste man deren Rolle (die schon wichtig ist) zurück auf den Boden der Realität bringen.

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  5. Wie es McLuhan schon gesagt hat, gibt es erst im elektronischen Zeitalter eine Möglichkeit aus der Narkose der Medien zu erwachen. Nicht alle können erwachen, aber manchen Menschen kann es gelingen. Wenn der Mensch begreift, dass das Internet eigentlich die Erweiterung des zentralen Nervensystems und somit ein Teil es Körpers ist, dann hat er die Möglichkeit sich aus dem hypnotischen Zustand zu befreien.

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